Prüfungsangst ist für viele Kinder und Jugendliche ein fester Bestandteil des Schulalltags. Laut einer aktuellen Umfrage des Nachhilfeinstituts LernQuadrat (2025) erleben rund 55 % der Schüler*innen in Österreich „fast immer“ Angst vor Prüfungen oder Schularbeiten. Weitere 39 % gaben an, zumindest „oft“ davon betroffen zu sein. Auch die Arbeiterkammer (AK) bestätigt in einer eigenen Studie, dass etwa jedes zweite Kind Prüfungsangst äußert – bereits 31 % der Volksschulkinder, bei Kindern aus sozial benachteiligten Familien sogar bis zu 66 %.
Diese Zahlen machen deutlich: Prüfungsangst ist kein Randphänomen. Und sie betrifft nicht nur jene Kinder, die laut und sichtbar auf Stress reagieren. Besonders oft übersehen werden jene, deren Angst sich leise zeigt – durch Rückzug, innere Anspannung oder psychosomatische Beschwerden.
Wenn Angst nicht laut wird – sondern innerlich tobt
Nicht jedes Kind zeigt Prüfungsangst auf dieselbe Weise. Während manche explodieren, implodieren andere. Die Angst sucht sich einen stillen Weg nach innen – sie äußert sich durch Anspannung, Rückzug, psychosomatische Beschwerden (Bauchweh, Übelkeit, Kopfschmerzen) oder ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle und Perfektion.
Und häufig bleiben genau diese Kinder lange „unentdeckt“. Denn sie stören den Unterricht nicht. Sie passen sich an. Sie wirken fleißig. Sie versuchen, alles richtig zu machen. Und genau das kostet sie unendlich viel Kraft.
Was passiert im Körper eines ängstlichen Kindes?
Neurologisch betrachtet reagiert das kindliche Gehirn auf Prüfungsdruck genauso wie auf andere Formen von Bedrohung.
Im Mittelpunkt steht die Amygdala, das Angstzentrum des Gehirns. Wenn sie eine Situation als „gefährlich“ bewertet – z. B. eine Klassenarbeit oder ein unangekündigter Test – wird die Stressreaktion aktiviert: Das vegetative Nervensystem schaltet auf Alarm, Cortisol und Adrenalin werden ausgeschüttet.
Das Problem: In diesem Zustand wird der präfrontale Kortex, also das Zentrum für Konzentration, logisches Denken und Problemlösen, vorübergehend gehemmt. Der Körper will überleben, nicht analysieren. Genau deshalb kommt es zu Blackouts oder Denkblockaden – auch wenn der Stoff zu Hause sicher beherrscht wurde.
Je stiller ein Kind unter dieser Anspannung leidet, desto weniger wird es oft gesehen – und desto länger bleibt das Gefühl bestehen: „Ich bin mit meiner Angst allein.“
Psychologische Aspekte: Angst, Scham, Selbstbild
Viele dieser Kinder haben über Jahre hinweg Erfahrungen gemacht, in denen sie das Gefühl hatten, nicht zu genügen. Vielleicht waren es schlechte Noten trotz Mühe. Vielleicht Kommentare wie „Das hast du doch schon zigmal geübt!“ oder ein ungutes Gefühl im Vergleich zur Klasse.
Ein häufiger Begleiter dabei ist: Scham.
Nicht einfach Angst, sondern das tief sitzende Gefühl, irgendwie „falsch“ zu sein. Bei diesen Kindern verfestigt sich oft ein Selbstbild, das auf Mangel basiert: „Ich bin nicht gut genug.“
In der Prüfung wird das zur inneren Bedrohung – denn dort scheint sich alles entscheiden zu müssen.
Prüfungsangst ist nicht immer laut. Sie kann auch still sein, leise, fast unsichtbar. Doch gerade diese leise Angst ist oft besonders tief.
Diese Kinder brauchen nicht noch mehr Leistungsdruck. Sie brauchen Räume, in denen sie mit ihrer Anspannung gesehen werden, ohne bewertet zu werden. Sie brauchen Erwachsene, die nicht vorschnell Lösungen anbieten, sondern erst einmal zuhören. Und sie brauchen die Botschaft:
👉 „Du musst nicht perfekt sein. Du musst nicht alles können. Du darfst du sein – auch in der Prüfung.“
Wenn du mit einem dieser Kinder lebst oder arbeitest: Danke, dass du genau hinsiehst. ❤️
P.S. In meinem nächsten Blog-Beitrag erzähle ich von verschiedenen Möglichkeiten, wie wir Kinder in diesen herausfordernden Situationen und Lebensphasen unterstützen können.
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